Die Freie Kritische Alternative

(vormals Grüne Masseur*innen)

Lesedauer:  7 Minuten

Akupressur wirkt beruhigend auf Brustkrebs-Patientinnen während der Chemotherapie

In der vorliegenden, 2023 veröffentlichten Studie Effect of localized acupressure massage on anxiety during chemotherapy in patients with breast cancer gehen Harorani et al.1Mehdi Harorani, Mehdi Salehi, Mohadese Shahrodi, Fatemeh Rafiei 82023): Effect of localized acupressure massage on anxiety during chemotherapy in patients with breast cancer: A single-blind randomized clinical trial. European Journal of Integrative Medicine, Volume 57, 2023, 102209, https://doi.org/10.1016/j.eujim.2022.102209. der Frage nach, inwieweit sich Akupressur-Behandlungen positiv auf Angstzustände von Brustkrebs-Patientinnen während chemotherapeutischer Behandlung auswirken und können zeigen, dass sich das Angstniveau von (mit Akupressur) behandelten Patientinnen signifikant von denen unbehandelter Patientinnen unterscheidet.

Hintergrund

Krebs ist eine der häufigsten nicht-infektiösen Krankheiten, wobei Brustkrebs die häufigste und tödlichste Krebserkrankung bei Frauen mit den stärksten emotionalen und psychologischen Auswirkungen ist. Studienergebnissen zufolge wurden im Jahr 2020 bei 2,3 Millionen Menschen Brustkrebs diagnostiziert, was etwa 24,5 % aller Krebsfälle weltweit entspricht.2S. Lei, R. Zheng, S. Zhang, S. Wang, R. Chen, K. Sun, et al.: Global patterns of breast cancer incidence and mortality: a population-based cancer registry data analysis from 2000 to 2020, Cancer Commun. 41 (11) (2021) 1183–1194. Patientinnen, die an Brustkrebs erkrankt sind, leiden unter schwerem Stress, verminderter Lebensqualität und schlechtem Gesundheitszustand. Diese Krankheit gefährdet die Identität und Persönlichkeit der betroffenen Frauen und setzt sie Problemen wie Angst, Depression, Hoffnungslosigkeit, sozialer Isolation und zahlreichen psychischen und physischen Problemen aus.3Die Autor*innen verweisen auf X. Chen, L. Wang, L. Liu, M. Jiang, W. Wang, X. Zhou, et al.: Factors associated with psychological distress among patients with breast cancer during the COVID 19 pandemic: a cross-sectional study in Wuhan, China, Support. Care Cancer 29 (8) (2021) 4773–4782;
Z.M. Nakamura, A.M. Deal, K.A. Nyrop, Y.T. Chen, L.J. Quillen, T. Brenizer, et al.: Serial assessment of depression and anxiety by patients and providers in women receiving chemotherapy for early breast cancer, Oncologist 26 (2) (2021) 147–156;
V. Sebri, I. Durosini, S. Triberti, G. Pravettoni: The efficacy of psychological intervention on body image in breast cancer patients and survivors: a systematicreview and meta-analysis, Front. Psychol. 12 (2021), 611954; und
H. Zhao, X. Li, C. Zhou, Y. Wu, W. Li, L: Chen, Psychological distress among Chinese patients with breast cancer undergoing chemotherapy: Concordance between patient and family caregiver reports, J. Adv. Nurs. 78 (3) (2022) 750–764.

Ausgehend von den Ergebnissen einer Studie von Kissane et al.4D.W. Kissane, S. Bloch, G.C. Smith, P. Miach, D.M. Clarke, J. Ikin, et al.: Cognitive-existential group psychotherapy for women with primary breast cancer: a randomised controlled trial, Psycho-Oncology J. Psychol. Soc. Behav. Dimens. Cancer. 12 (6) (2003) 532–546. wird die Prävalenz von Angstzuständen bei Frauen mit Brustkrebs auf ca. 90 % geschätzt, wobei notwendige langfristige Behandlungen, insbesondere die Chemotherapie, die Angst verstärken.5Die Autor*innen verweisen auf Z.M. Nakamura, A.M. Deal, K.A. Nyrop, Y.T. Chen, L.J. Quillen, T. Brenizer, et al.: Serial assessment of depression and anxiety by patients and providers in women receiving chemotherapy for early breast cancer, Oncologist 26 (2) (2021) 147–156 und
J. Zhang, Y. Zhou, Z. Feng, Y. Xu, G. Zeng: Longitudinal trends in anxiety, depression, and quality of life during different intermittent periods of adjuvant breast cancer chemotherapy, Cancer Nurs. 41 (1) (2018) 62–68.
Zudem können Stress und Angst zu einem Wiederauftreten der Krankheit, einem unzureichenden Ansprechen auf die Behandlung und längeren Krankenhausaufenthalten führen.6Die Autor*innen verweisen auf E.D. Spilioti, P.A. Galanis, A.G. Kalokairinou: The effects of music on cancer patients submitted to chemotherapy treatment: Int. J. Caring Sci. 10 (3) (2017) 1465–1477; und
P. Pelekasis, G. Zisi, A. Koumarianou, A. Marioli, G. Chrousos, K. Syrigos, et al.: Forming a stress management and health promotion program for women undergoing chemotherapy for breast cancer: a pilot randomized controlled trial, Integr. Cancer Ther. 15 (2) (2016) 165–174.
Aus diesem Grund werden verschiedene pharmakologische Methoden zur Linderung der körperlichen und psychischen Probleme von Krebspatientinnen eingesetzt, aber auch komplementärmedizinische Ansätze in Betracht gezogen, so z.B. Akupressur-Massage, für deren Wirksamkeit bislang aber keine belastbaren Belege (und unklare Wirkmechanismen) vorliegen.

Durchführung der Studie

Die vorliegende Studie wurde von Juni 2021 bis Januar 2022 im Ayatollah-Khansari Education and Treatment Center in Arak (Iran) durchgeführt. Teilnehmerinnen waren Brustkrebspatientinnen, die sich an das Ayatollah-Khansari Bildungs- und Behandlungszentrum gewandt hatten. Die Einschlusskriterien waren, dass die Patientinnen mindestens eine Chemotherapie hinter sich hatten, zwischen 18 und 60 Jahre alt waren, bei vollem Bewusstsein waren und vom behandelnden Arzt die Krebsstadien 2, 3 und 4 diagnostiziert wurden.7Unter Berücksichtigung eines Konfidenzintervalls von 95 %, einer Aussagekraft von 80 % und eines Stichprobenschwunds von 10 % haben die Studienautor*innen eine Stichprobengröße von 35 Personen in jeder Gruppe angestrebt und die Teilnehmer*innen wurden - bei Erfüllung der Einschlusskriterien - nach dem Zufallsprinzip in sieben Zehnerblöcke eingeteilt: A für die Interventionsgruppe und B für die Kontrollgruppe.
Patientinnen, die während der Studie verstarben, die aus persönlichen Gründen nicht bereit waren, die Untersuchung fortzusetzen, und die zum Zeitpunkt des Ausfüllens des Fragebogens unter akuten Schmerzen litten, wurden von der Studie ausgeschlossen.

Das verbreitetste System Krebsstadien einzuteilen ist das System der Internationalen Vereinigung gegen Krebs (Union for International Cancer Control; UICC) mit fünf Stadien (0 bis 4):

  • Stadium 0 (Frühform): Der Tumor ist noch nicht ins umliegende Gewebe eingewachsen (T0), kein Befall der Lymphknoten mit Krebszellen (N0), keine Metastasen (M0)
  • Stadium 1: Der Tumor ist klein oder von mittelgroß und beginnt sich auszubreiten (T1, T2), kein Befall der Lymphknoten mit Krebszellen (N0), keine Metastasen (M0)
  • Stadium 2: Der Tumor ist mittelgroß bis groß und ist fortgeschritten ausgebreitet (T3, T4), kein Befall der Lymphknoten mit Krebszellen (N0), keine Metastasen (M0)
  • Stadium 3: Tumor ist klein bis groß hat sich örtlich begrenzt oder bis ins umliegende Gewebe ausgebreitet (T1  bis T4), nahe gelegene Lymphknoten sind mit Krebszellen befallen (N1 bis N3), keine Metastasen (M0)
  • Stadium 4: Tumor ist klein bis groß hat sich örtlich begrenzt oder bis ins umliegende Gewebe ausgebreitet (T1  bis T4), nahe gelegene Lymphknoten sind mit Krebszellen befallen (N1 bis N3), Metastasen

Zu Beginn der Studie mussten die Teilnehmer*innen ein Formular zur Erfassung demografischer Daten und das Spielberger State-Trait Anxiety Inventory, einen Fragebogen zur Erfassung von Angst8Das Spielberger State-Trait Anxiety Inventory (STAI) zielt darauf ab, die Zustandsangst (ein vorübergehender, durch die aktuelle Situation beeinflusster Zustand, bei dem der*die Befragte angibt, wie er*sie sich in diesem Moment fühlt) und die Eigenschaftsangst (eine allgemeine Neigung zur Angst, bei der der*die Befragte angibt, wie er sich „im Allgemeinen“ fühlt) mit jeweils 20 Items getrennt zu erfassen, wobei die verwendete Version an die iranische Kultur angepasst war.
Ein Wert bis 20 bedeutet keine Angst, ein Wert von 21 bis 39 leichte Angst, ein Wert von 40 bis 59 mittlere Angst und ein Wert von 60 bis 80 schwere Angst.
, ausfüllen.9Die Studie war einfach verblindet, d.h. die Pflegeperson, die das Angstniveau der Patientinnen vor und nach den Behandlungsserien erhob, wusste nichts über die Art der Intervention.

Danach wurde die Akupressur-Massage während des Krankenhausaufenthalts zur intravenösen Chemotherapie (an drei Tagen zwischen den Chemotherapie-Behandlungen und nach der Chemotherapie) von einem*einer geschulten Kolleg*in durchgeführt, der*die mit dieser Technik vertraut war und erfolgreich einen 12-stündigen Workshop über "therapeutische Anwendungen der klassischen Massage" absolviert hatte.10Der Workshop wurde veranstaltet von der Iranian Scientific Association of Medical Education.

Der*die Behandler*in beugte dabei den Knöchel seines Daumens und drückte ihn direkt, rotierend und senkrecht auf den Punkt Di 4 (zwischen Daumen und Zeigefinger gelegen). Die Massage dauerte maximal 20 Minuten, wobei sich die drei 5-minütigen Massage jeweils mit einer 2-minütigen Pause abwechselten. In der Kontrollgruppe hingegen wurde die Geste der Intervention (d. h. Berührung mit Rotation, allerdings ohne Druck) im gleichen Zeitschema durchgeführt.

Am Ende der Intervention wurden die Ängste der Patientinnen wiederum mit dem Spielberger State-Trait Anxiety Inventory erfasst und gemessen.

Ergebnisse

Von den insgesamt 93 rekrutierten Patientinnen, die die Zulassungskriterien für die Teilnahme an dieser Studie erfüllten, lehnten 7 Patientinnen die Teilnahme ab und weitere 16 Patientinnen erfüllten die Einschlusskriterien nicht, so dass es schließlich 70 Studien-Teilnehmerinnen waren. 35 von ihnen wurden der Interventions- und 35 der Kontrollgruppe zugeteilt.

Das Durchschnittsalter der Patientinnen lag bei knapp 45 Jahren, bei einer Altersspanne von 28 bis 59 Jahren. Die Mehrheit der Teilnehmerinnen war verheiratet (74,3 %), Hausfrau (72,9 %) und hatte weniger als einen Diplomabschluss (82,9 %). Außerdem hatten 12,9 % der Patientinnen eine Krebsvorgeschichte in der Familie. Zwischen der Versuchs- und der Kontrollgruppe gab es keine statistischen Unterschiede, weder in den demografischen Merkmalen, noch in den mittleren Angstwerten vor der Intervention.11Die mittleren Angstwerte in der Interventions- und der Kontrollgruppe betrugen vor der Intervention 46,65±5,57 bzw. 46,82±5,28, was keinen signifikanten Unterschied darstellt.

Nach der Intervention, d.h. der Akupressurbehandlungen, lag der Angstmittelwert in der Interventionsgruppe mit 33,45±3,18 signifikant (P = 0,0001) unter dem der Kontrollgruppe mit 39,22±18,23. Zudem zeigt sich in der Interventionsgruppe eine signifikante Verbesserung gegenüber dem Ausgangswert (P=0,0001), nicht jedoch in der Kontrollgruppe, obwohl sich auch dort eine leichte Verbesserung zeigt (P=0,102).12Im Detail zeigte sich, dass in der Interventionsgruppe alle Patientinnen anfänglich mittlere bis ziemlich starke Angstwerte aufwiesen, die sich nach der Intervention jedoch bei 10 und 25 Probanden auf mittlere bis niedrige bzw. niedrige Werte verringerte.

Diskussion der Ergebnisse

Da Angst eines der häufigsten psychischen Probleme von Brustkrebspatientinnen ist, ist es wichtig, Maßnahmen zu ergreifen, um sie zu lindern, und die Studie zeigt, dass die Akupressur-Massage die durch die Chemotherapie ausgelösten Ängste bei Patientinnen mit Brustkrebs signifikant reduziert.

Obwohl der genaue Mechanismus der Wirkung von Massage bei Angstzuständen bislang nicht bekannt ist, scheint es, dass die Massage die Aktivität des parasympathischen Nervensystems erhöht und das sympathische Nervensystem hemmt.13Die Autor*innen verweisen auf M.F. Farahani, M.N. Zamenjani, M. Nasiri, S. Shamsikhani, Z. Purfarzad, M. Harorani: Effects of extremity massage on preoperative anxiety: a three-arm randomized controlled clinical trial on phacoemulsification candidates, J. Perianesth. Nurs. 35 (3) (2020) 277–282. Darüber hinaus, so die Autor*innen, kann sich die Kommunikation mit Massage-Praktiker*innen positiv auf die Patientinnen auswirken. Die emotionale soziale Unterstützung, die sich aus der Kommunikation ergibt, ist möglicherweise, so führen die Autor*innen weiter aus, eine der wichtigsten Wirkungen der Komplementärmedizin, wenngleich andere Untersuchungen keine signifikanten Wirkungen von Massage zeigen.14Die Autor*innen verweisen auf J. Hattan, L. King, P. Griffiths. The impact of foot massage and guided relaxation following cardiac surgery: a randomized controlled trial, J. Adv. Nurs. 37 (2) (2002) 199–207;
A. Fazlollah, H.B. Darzi, E. Heidaranlu, ST. Moradian: The effect of foot reflexology massage on delirium and sleep quality following cardiac surgery: a randomized clinical trial, Complement. Ther. Med. 60 (2021), 102738; und
T.J. Gunnarsdottir, H. Jonsdottir: Does the experimental design capture the effects of complementary therapy? A study using reflexology for patients undergoing coronary artery bypass graft surgery, J. Clin. Nurs. 16 (4) (2007) 777–785.

Zusammenfassend, auf Basis der bislang vorliegenden Studien, befürworten die Autor*innen Akupressur-Massage als sichere und kostengünstige Methode zusammen anderen modernen medizinischen Behandlungen einzusetzen, um die Ängste der Patientinnen zu verringern. Trotz der in den meisten Studien berichteten positiven Auswirkungen der Akupressur-Massage erachten sie es jedoch dennoch als notwendig, umfassendere Untersuchungen durchzuführen. Zudem befürworten sie auch die Untersuchung der langfristigen Auswirkungen dieser Technik.

Freie Kritische Alternative

Newsletter abonnieren

© 2025. Dr. Eduard Tripp

Anmerkungen/Fußnoten